Kleine Anfrage 17/10088

der Abgeordneten Jutta Blatzheim-Roegler und Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Mehr Frauen in die Kommunalpolitik und in die parlamentarischen Gremien
Drucksache 17/10254


Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/10088 – vom 19. September 2019 hat folgenden Wortlaut:

Der Frauenanteil im rheinland-pfälzischen Landtag liegt bei gerade 32 Prozent. Der Frauenanteil in den Kommunen hat sich – trotz vieler Bemühungen – nicht signifikant verbessert und liegt nach wie vor unter 20 Prozent. Die Ergebnisse der Kommunalwahl 2019 weisen – soweit sie vorliegen – auch keine grundsätzliche Veränderung auf. Die Situation in den Ländern und dem Bund zeigt ähnliche Ergebnisse. Die Forderung nach Parität wird bereits seit vielen Jahren diskutiert. Einig sind sich alle, dass es wichtig und notwendig ist, dass mehr Frauen in die Parlamente gehören. Das „Wie“ ist die Frage. Vorreiterinnen sind hier die Bundesländer, die sich mit einem Parité-Gesetz auf den Weg gemacht haben. Im Januar 2019 verabschiedete der Landtag Brandenburg mit den Stimmen der Regierungskoalition das bundesweit erste Parité-Gesetz. Ebenso hat der thüringische Landtag als zweites Bundesland nach Brandenburg ein Paritätsgesetz verabschiedet. In Sachsen-Anhalt wurde in diesem Jahr ein Gesetzentwurf eines Parité-Gesetzes in den Landtag eingebracht. Die Option eines Gesetzes wurde Anfang September auf dem „1. Deutschen Frauenkongress kommunal“ in Mainz diskutiert.

Daher fragen wir die Landesregierung:
1. Welche Maßnahmen sind aus frauenpolitischer Sicht notwendig, um einen spürbaren Effekt bei der paritätischen Besetzung von Parlamenten/Räten zu erreichen?
2. Plant bzw. unterstützt die Landesregierung Initiativen auf Bundesebene, um bundes einheitliche Regelungen zur Geschlechterparität in Volksvertretungen zu erreichen?
a) Wenn ja, in welcher Form?
b) Wenn nicht, warum nicht?
3. Wie steht die Landesregierung zu den Überlegungen von Parteien und Politikerinnen/Politikern, eine ähnliche Reglung auch in Rheinland-Pfalz einzuführen?


Das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 10. Oktober 2019 wie folgt beantwortet:

Zu Frage 1:
Trotz 100 Jahre Frauenwahlrecht und erfolgreichen Frauen in der Politik, ist die politische Welt immer noch männlich geprägt. Das Zuschreiben von Rollenbildern und die immer noch stattfindende strukturelle Diskriminierung von Frauen ist mitverantwortlich für die fehlende Präsenz von Frauen in den Parteien und den Parlamenten.

Der Erste Paritätsbericht der Landesregierung „Politische Teilhabe von Frauen und Männern bei den allgemeinen Kommunalwahlenam 25. Mai 2014 in Rheinland-Pfalz (§ 73 Abs. 2 Kommunalwahlgesetz)“ enthält eine Darstellung sowie eine Bewertung der Chancen von Frauen und Männern. Zusätzlich trifft er Aussagen zur Wirksamkeit der damals neuen Paritätsregelungen und formuliert Handlungsempfehlungen zur Erhöhung des Anteils von Frauen in kommunalen Vertretungskörperschaften. Hierzu wird auf vorgenannten Paritätsbericht der Landesregierung verwiesen (vgl. Landtagsdrucksache 16/5288, S. 30 ff.).

Aus frauenpolitischer Sicht sind jedoch noch weitere langfristige Maßnahmen notwendig, um einen spürbaren Effekt bei der paritätischen Besetzung von Parlamenten/Räten zu erreichen:

Alle Parteien müssen eine gezielte Nachwuchsförderung betreiben und geeignete Frauen direkt ansprechen. Hierzu gehört es auch, Frauen aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, wie Vereine oder Verbände, frühzeitig für Kandidaturen zu gewinnen. Die Förderung von Frauen ist insbesondere in den Ortsvereinen der Parteien erforderlich, da gerade dort viele politische Karrieren ihren Anfang nehmen (z. B. durch paritätisch besetzte Doppelspitzen).

Ein kommunalpolitisches Engagement muss für beide Geschlechter attraktiver werden. Dazu gehört beispielsweise die Anpassungund Begrenzung von Sitzungszeiten, eine Veränderung der Sitzungskultur (z. B. Beschränkung von Redezeiten) oder Angebote zur Kinderbetreuung bzw. Übernahme von anfallenden Kosten. Auch können neue Kommunikationsmedien zur Zeitersparnis genutztwerden (z. B. Onlinekonferenzen/Gremiensitzungen) oder auch Homeoffice-Regelungen für kommunales Führungspersonal. Es müssen parteiübergreifende, regionale wie bundesweite Netzwerke für Frauen in kommunalen Führungspositionen aufgebaut werden.

Es muss darüber diskutiert werden, ob gesetzliche Bestimmungen so geändert werden müssen, dass die Parteien verpflichtet werden, bei Landtags- und Kommunalwahlen ebenso viele Frauen wie Männer auf ihren Listen aufzustellen. Auch die Besetzungvon Wahlkreisen für die Direktwahl mit jeweils einer Frau und einem Mann wäre eine mögliche Option.

Zu den Fragen 2 und 3:
Die Landesregierung unterstützt ausdrücklich die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in der Kommunalpolitikund in den parlamentarischen Gremien.

Frauenpolitisch wären verbindliche Vorgaben wünschenswert. Allerdings bestehen gegen verpflichtende Regelungen zur Aufstellungvon geschlechterparitätischen Wahlvorschlägen, wie die Länder Brandenburg und Thüringen sie beschlossen haben, verfassungsrechtliche Bedenken. Die verfassungsrechtlichen Bedenken beruhen auf folgenden Erfahrungen und Erkenntnissen:

Im Jahr 2012 hatte sich die Enquete-Kommission 16/2 „Aktive Bürgerbeteiligung für eine starke Demokratie“ des rheinland-pfälzischen Landtags unter dem Thema „Gendergerechte Demokratie“ mit der politischen Teilhabe von Frauen in kommunalenVertretungskörperschaften intensiv beschäftigt. Diskutiert wurde insbesondere die Frage, ob zur Verbesserung der Situation eineverpflichtende Frauenquote nach dem Vorbild des französischen Parité-Gesetzes eingeführt werden sollte. Das hierzu in Auftraggegebene Gutachten „Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit gesetzlicher Geschlechterquotierung von Wahlvorschlägen für die rheinland-pfälzischen Kommunalparlamente“ von Prof. Dr. Ebsen kam zum Ergebnis, dass gegen eine Regelung, die die Parteien und Wählergruppen zur Aufstellung von geschlechterparitätsbezogenen Wahlvorschlägen verpflichtet, verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Eine solche Regelung greife in die verfassungsrechtlichen Grundsätze der allgemeinen, freien und gleichen Wahlein.

Der rheinland-pfälzische Landesgesetzgeber hat im Anschluss an den Bericht der oben genannten Enquete-Kommission Paritätsbestimmungen in das Kommunalwahlgesetz durch das Sechzehnte Landesgesetz zur Änderung des Kommunalwahlgesetzes vom 8. Mai 2013 (GVBl. S. 139) aufgenommen, um den Anteil von Frauen in kommunalen Vertretungskörperschaften zu erhöhen. Jedoch nahm er von einer verpflichtenden Frauenquote zur Aufstellung von geschlechterparitätischen Wahlvorschlägen Abstand.

Die eingeführten Paritätsbestimmungen im Kommunalwahlgesetz waren Gegenstand von mehreren verfassungsrechtlichen Überprüfungen durch den Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz. Unmittelbar vor den allgemeinen Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 setzte der Verfassungsgerichtshof durch Beschluss vom 4. April 2014 (VGH A 15/14, VGH A 17/14) den Vollzug der Paritätsbestimmungen, die den Aufdruck der paritätsbezogenen Angaben auf den Stimmzetteln betrafen, außer Kraft. Damit durften die neugestalteten Stimmzettel mit den paritätsbezogenen Angaben bei den Kommunalwahlen am 25. Mai 2014 nicht eingesetzt werden.

Der Verfassungsgerichtshof begründete seine Entscheidung damit, dass – vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung im Hauptsacheverfahren – erhebliche Gründe dafür sprechen würden, dass die genannten Regelungen verfassungswidrig seien, weil sie den Grundsatz der Freiheit der Wahl verletzten. Dieser Grundsatz gewährleiste einen unbedingten Schutz vor staatlicher Einwirkun gauf den Inhalt der Entscheidung des Wählers im Zeitpunkt der Stimmabgabe durch die Gestaltung des Stimmzettels. Mit Beschlussvom 13. Juni 2014 (VGH N 14/14, VGH B 16/14) bestätigte der Verfassungsgerichtshof im Hauptsacheverfahren seine Entscheidung im Eilverfahren.

Derzeit ist gegen das Zweite Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes – Parité-Gesetz – vom 12. Februar 2019 (GVBl. I/19 [Nr. 1] ), das am 30. Juni 2020 in Kraft tritt und eine verpflichtende Frauenquote bei der Aufstellung von Wahlvorschlägen bei der Wahl zum Landtag des Landes Brandenburg einführt, eine Organklage und eine Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgericht des Landes Brandenburg anhängig. Es wird insbesondere geltend gemacht, dass das Gesetz gegen die Parteienfreiheit, die Chancengleichheit der Parteien und die Wahlrechtsgrundsätze der Freiheit und Gleichheit der Wahl verstoße.

Da zu gewährleisten ist, dass Wahlen rechtssicher und rechtskonform durchgeführt werden, sollte die Entscheidung des Verfassungsgerichts des Landes Brandenburg zu dem genannten Parité-Gesetz abgewartet werden.


In Vertretung:
Dr. Christiane Rohleder
Staatssekretärin

 

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