Kleine Anfrage 17/6285

der Abgeordneten Jutta Blatzheim-Roegler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Resistenzen in der Landwirtschaft
Drucksache 17/6497


Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/6285 – vom 22. Mai 2018 hat folgenden Wortlaut:

Immer wieder kommt es zu Resistenzen von Schädlingen, Unkräutern und Krankheitserregern gegenüber Herbiziden und Insektiziden in der Landwirtschaft. Die Natur passt sich über die Jahre den angewandten Mitteln an. Allerdings hat die Landwirtschaft einen Einfluss auf die Geschwindigkeit der Entwicklung und das Ausmaß der Resistenzen, sodass ihr eine herausgehobene Rolle in der Vermeidung dieser zukommt. Dabei hat die Entwicklung von Resistenzen auch negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Rheinland-Pfalz.

Vor diesem Hintergrund frage ich die Landesregierung:

1. Was sind mögliche Ursachen für Resistenzen gegenüber Herbiziden und Insektiziden?
2. Wie lassen sich Resistenzen gegenüber Herbiziden und Insektiziden bestenfalls vermeiden?
3. Welche Faktoren spielen bei der fachgerechten Anwendung von Herbiziden und Insektiziden auf dem Acker eine Rolle, um Resistenzen zu vermeiden?
4. Welche Strategie verfolgt die Landesregierung, um Resistenzen gegen Herbizide und Insektizide zu vermeiden, insbesondere im Bereich Verhaltensveränderung in der landwirtschaftlichen Praxis und Sensibilisierung für das Thema Resistenzen?
5. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung hinsichtlich der Wirkung von nicht chemischen Pflanzenschutzmethoden, also beispielsweise längere Furchtfolgen oder Habitate für natürliche Antagonisten, vor, die dabei helfen, den Einsatz von Herbiziden und Insektiziden zu senken und so zur Vermeidung von Resistenzen beitragen können?
6. Gegenüber welchen tierischen Schädlingen, Unkräutern und Krankheitserregern existieren in der Landwirtschaft keine zugelassenen Mittel mehr, weil die Schädlinge, Unkräuter und Krankheitserreger in den letzten Jahren eine Resistenz entwickelt haben?
7. Wie hat sich die eingesetzte Menge der verschiedenen zugelassenen und verwendeten Wirkstoffe in den letzten 10 Jahren entwickelt, nach jeweiligem Wirkstoff und insgesamt nach Wirkstoffklasse (bitte getrennt nach Jahren)?


Das Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 13. Juni 2018 wie folgt beantwortet:

Zu Frage 1:
Resistenzen sind genetisch bedingt. Aufgrund ihrer genetischen Ausstattung haben bestimmte Individuen in einer Population die Möglichkeit, sich an verschiedenste Umweltbedingungen anzupassen. Ursächlich sind Resistenzen in spontanen Mutationen (oft Punktmutationen) begründet. Sie werden nicht durch die Umweltbedingungen erzeugt.

In der Landwirtschaft stellt die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln eine „Umweltbedingung“ dar. In den Populationen von Unkräutern, Schädlingen oder Krankheitserregern (Bakterien, Pilze) sind stets Individuen vorhanden, die entweder über veränderte Rezeptoren verfügen, sodass die Pflanzenschutzmittel erst gar nicht wirken können („target site“ – Resistenz), oder die über eine enzymatische Ausstattung verfügen, die sie in die Lage versetzt, Pflanzenschutzmittelwirkstoffe zu „entgiften“, entweder durch Festlegen im Organismus oder durch Abbau („metabolische“ Resistenz). Diese resistenten Individuen überleben die Anwendung der Pflanzenschutzmittel, während die empfindlichen Individuen abgetötet werden.

Die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln erzeugt keine Resistenz. Durch wiederholte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wird jedoch ein Selektionsdruck ausgeübt auf Schaderregerpopulationen, der dazu führt, dass der Anteil der nicht mehr bekämpfbaren Individuen ansteigt. Nach einer längeren Selektionsperiode dominieren dann diese eventuell, und die Schaderreger sind auf den Feldern, in den Obst- bzw. Rebanlagen oder in geschützten Anbausystemen (z. B. in Gewächshäusern) nicht mehr ausreichend bekämpfbar und verursachen Ertrags- oder Qualitätsverluste.

Zu Frage 2:
Die Entstehung von Resistenzen von Schaderregern gegen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe lässt sich nicht vermeiden, da sie einem natürlichen Prozess unterliegt (s. Antwort zu Frage 1). Durch die Vermeidung eines einseitigen Selektionsdruckes ist allerdings eine starke zeitliche Verzögerung der Resistenzentwicklung in den Schaderregerpopulationen möglich.

Grundsätzlich sind zwei Bereiche bei der Resistenzverzögerung (Anti-Resistenz-Strategie) zu unterscheiden: die Resistenzvorbeuge und der strategische Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Im Rahmen des integrierten Pflanzenschutzes werden Maßnahmen aus diesen beiden Bereichen kombiniert. Bei der Resistenzvorbeuge werden Maßnahmen ergriffen, die das Auftreten und die Entwicklung von Schaderregern hemmen. Dazu gehören Standortwahl, Fruchtfolgemaßnahmen, pflanzenbauliche Maßnahmen bei der Kulturführung (Saatzeiten, Saatstärken, Düngung, Sortenwahl etc.). Der strategische Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zielt ab auf eine Minimierung der Anwendung durch vorrangigen Einsatz nicht chemischer Pflanzenschutzverfahren (mechanische, physikalische, biologische, biotechnische Verfahren). Pflanzenschutzmittel sollen nur nach Überschreitung von wirtschaftlichen Schadensschwellen bzw. von vorgelagerten Bekämpfungsschwellen eingesetzt werden. Beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sol- len Mittel mit möglichst verschiedenen Wirkprinzipien angewendet werden („Wirkstoffwechsel“ bzw. „Wirkstoffrotation“), um eine einseitige Selektion resistenter Individuen stark zu verlangsamen. Zu

Fragen 3 und 4:
Generell gelten folgende Faktoren bei Schaderregern bzw. bei Pflanzenschutzmittelwirkstoffen als resistenzfördernd:

– Bei Schaderregern: hohes Vermehrungspotenzial, rasche Generationsfolge, große Ausgangspopulationen bei der Behandlung;

– Bei Pflanzenschutzmittelwirkstoffen: sehr spezifischer Wirkmechanismus („single site – inhibitors“), kurative Anwendung, häufiger Einsatz.

Die Anti-Resistenz-Strategie bei der Unkrautbekämpfung bzw. beim Herbizid-Einsatz des rheinland-pfälzischen Pflanzenschutzdienstes fußt auf folgenden Maßnahmen: In der Fruchtfolgegestaltung wird ein ausgewogenes Verhältnis von Winterungen und Som- merungen angestrebt und dringend von einseitigen Fruchtfolgen, meist bestehend aus Raps und Wintergetreidearten, abgeraten. Dadurch wird die Selektion von Schadgräsern (Ackerfuchsschwanz, Windhalm etc.), die stärker resistenzgefährdet sind, vermindert. Gleiches gilt für die Vermeidung einseitiger Fruchtfolgen mit Sommerungen (mit einem hohen Anteil aus Zuckerrüben, Kartoffeln oder Sommergerste), um eine Selektion von Schadhirsen, Flughafer und anderen dikotylen Arten (Gänsefuß, Melde, Nachtschatten etc.) zu reduzieren. Wo möglich, sollten gelegentlich Pflugeinsätze vor der Saatbettbereitung eingeschaltet werden, um die Selektion von Wurzelunkräutern/-gräsern zu unterbinden. Es wird zu pflanzenbaulichen Maßnahmen geraten, welche die Entwicklung der Kulturpflanzenarten fördern und gleichzeitig die Entwicklung von Unkräutern hemmen (z. B. Wahl der Saatzeit oder Saatdichten; Düngemaßnahmen, die eine rasche Bodenbedeckung bewirken etc.), welche also die Konkurrenzkraft der Kulturpflanzen stärken. Dadurch wird die Größe der Unkrautpopulationen verringert und automatisch der Selektionsdruck gesenkt. Unter Berücksichtigung der Bodenverhältnisse, Erosionsgefährdungen und der Zusammensetzung der Unkrautgesellschaften werden mechanische Bekämpfungsmaßnahmen empfohlen (z. B. Striegeln in Getreide oder Hackverfahren in Zuckerrüben, Kartoffeln, Gemüsekulturen – hier GPS-gesteuert – oder im Obst- und Weinbau). Beim Einsatz von Herbiziden wird ein konsequenter Wechsel von Mitteln mit unterschiedlichen Wirkmechanismen verfolgt, wobei die Informationen des HRAC (Herbicide Resistance Action Committee) zur Resistenzgefährdung von herbiziden Wirkstoffen in den verschiedenen Indikationen zugrunde gelegt werden. Maximal sollte ein einziger Solo-Einsatz eines bestimmten Wirkmechanismus in der gesamten Fruchtfolge stattfinden. Sofern zugelassen, sollten Herbizide mit zwei Wirkstoffen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen angewendet werden. Es müssen unter Berücksichtigung des Entwicklungszustandes der Kultur, der Größe der Unkräuter und der Witterung bei der Applikation Herbizid-Aufwandmengen ausgebracht werden, die einen Wirkungsgrad von mehr als 98 Prozent ermöglichen. Die Beratungsstrategie zur Unkrautbekämpfung ist auf den Zeitraum der betriebsüblichen Fruchtfolgen ausgerichtet und fokussiert nicht auf einzelne Kulturen. Die Versuchstätigkeit des Pflanzenschutzdienstes beinhaltet neben Herbizid-Versuchen auch mecha- nische Bekämpfungsmaßnahmen (besonders im Sonderkulturbereich), deren Nutzen vermittelt und deren Einführung propagiert wird. Jährlich werden Biotests bei Unkraut- bzw. Ungraspopulationen mit Verdacht auf Resistenzentwicklung durchgeführt und deren Ergebnisse in der Beratung im Rahmen der Unkrautbekämpfungsstrategien vermittelt (Trendermittlung bei eventuellen Resistenzen und Förderung des Problembewusstseins in der Praxis auf regionaler und lokaler Ebene).

Für die Anti-Resistenz-Strategie bei der Bekämpfung von Schädlingen bzw. dem Insektizid-Einsatz stehen weniger vorbeugende Maßnahmen aus pflanzenbaulicher Sicht zur Verfügung. Sie ist stärker auf direkte Bekämpfungsmaßnahmen und die Optimierung des Insektizid-Einsatzes ausgerichtet. Fruchtfolgemaßnahmen greifen bei der Bekämpfung von Schadinsekten nur in wenigen Fällen, wie z. B. beim Maiswurzelbohrer, bei dessen Bekämpfung die Einschaltung von Getreide in Maisfruchtfolgen die entscheidende Bekämpfungsmaßnahme darstellt. Andere bodenbürtige Schädlinge, wie z. B. Drahtwürmer, haben ein breites Nahrungsspektrum und lassen sich durch Fruchtwechsel nicht bekämpfen. Eine verhaltene Stickstoffdüngung und eine ausgewogene Versorgung der Kulturpflanzen mit Nährstoffen limitiert die Vermehrung von bestimmten Schädlingen (z. B. Blattläuse). In begrenztem Maße können Variationen in der Saatzeit den Schädlingsbefall verhindern bzw. verringern. Sortenunterschiede sind, anders als bei der Bekämpfung von Pilzkrankheiten, zur Insektenbekämpfung praktisch nicht nutzbar. Im Sonderkulturanbau sind mechanische Vorbeuge- bzw. Bekämpfungsmaßnahmen feste Bestandteile der Bekämpfungsstrategie. So werden im Gemüsebau zur Verhinderung von Insekten-Befall die Kulturen mit Netzen oder Vliesen abgedeckt. Im Baumobst-Anbau werden Leimringe zur Bekämpfung des Frostspanners eingesetzt. Im Weinbau hat sich die Entblätterung der Traubenzone bei gleichzeitigem Kurzhalten des Unterbewuchses der Reben bei anfälligen Rotweinsorten als die effektivste Strategie gegen die Kirschessigfliege erwiesen. Der gezielte Einsatz von Nützlingen ist in einigen Fällen sehr effizient (z. B. Trichogramma-Schlupfwespen mittels Drohne gegen den Maiszünsler, Raubmilben im Wein- und Obstbau bzw. in Gewächshäusern, Blattlausantagonisten in Gewächshäusern) und wird seitens des Pflanzenschutzdienstes sehr erfolgreich beraten. Gleiches gilt für eine biotechnische Maßnahme, den Pheromon-Einsatz zur Traubenwickler-Bekämpfung im Weinbau, der praktisch flächendeckend in den Befallsgebieten stattfindet. Im Obstbau wird der Einsatz biologischer Insektizide (auf Bacillus thuringiensis- bzw. Granulosevirus-Basis) gegen Schad-Schmetterlinge von der Pflanzenschutzberatung favorisiert. Durch Anwendung dieser nicht chemischen Maßnahmen kann auf Insektizid-Einsätze in einigen Indikationen gänzlich verzichtet werden. In vielen Fällen sind Insektizid-Einsätze zum Schutz der Ernte vor Ertrags- und Qualitätsverlusten jedoch unerlässlich. Hierbei muss zunächst sorgfältig die Bekämpfungsnotwendigkeit überprüft werden. Zu diesem Zweck werden seitens des Pflanzenschutzdienstes (oft in Kooperation mit der Praxis) Monitorings (Gelbschalen, -tafeln, Pheromonfallen, Feld- und Anlagenbonituren) durchgeführt und festgestellt, ob die Bekämpfungsschwellenwerte überschritten sind. Zunehmend werden auch Prognosemodelle und digitale Entscheidungshilfesysteme eingesetzt. Erst dann werden Insektizid-Einsätze empfohlen. Ein Insektizid-Einsatz erfolgt unter Einhaltung des optimalen Termins und der vorgeschriebenen Aufwand- mengen; eine Reduktion der Aufwandmenge muss aufgrund des hohen Resistenzrisikos der meisten Insektizide unterbleiben. Selektive, d. h. nützlingsschonende Mittel werden bevorzugt. Auch beim Insektizid-Einsatz wird versucht einen Wirkstoffwechsel zu praktizieren und die Empfehlungen und Informationen des IRAC (Insecticide Resistance Action Committee) umzusetzen. Allerdings sind nur sehr wenige verschiedene Wirkstoffgruppen verfügbar, und deren Anzahl reduziert sich weiter (z. B. Wegfall einiger Neonicotinoide), sodass eine Wirkstoffrotation nur in sehr wenigen Kulturen möglich ist. Im Ackerbau konzentrieren sich die Insektizid-Anwendungen auf Raps und Kartoffeln. Verbreitet finden Insektizid-Einsätze noch im Obst- und Gemüsebau statt (sehr hohe Qualitätsanforderungen). In einigen Kulturen wird regelmäßig der Status der Insektizid-Resistenz der wichtigsten Schadinsekten überprüft (z. B. Rapsglanzkäfer, Kartoffelkäfer) und die Ergebnisse der Laboruntersuchungen werden der Praxis zugänglich gemacht.

Der Pflanzenschutzdienst informiert regelmäßig über die Warndienstmedien (schriftlich, Wetterfax, Internetangebote) über Resistenzentwicklungen, Anti-Resistenz-Strategien und die zu ergreifenden Maßnahmen. Grundlagen der Resistenzentwicklung und Anti-Resistenz-Strategien werden auch im Rahmen von Schulungen zur Pflanzenschutz-Sachkunde, im Berufs- und Fachschul- unterricht und während Gruppenberatungen vermittelt.

Zu Frage 5:
Die Wirkungen von nicht chemischen Pflanzenschutzmethoden hinsichtlich der Entwicklung von Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittelwirkstoffe sind sehr differenziert zu beurteilen. So senkt eine vielfältige Fruchtfolge mit einem Wechsel zwischen Winterungen und Sommerungen deutlich den Selektionsdruck für Herbizid-Resistenzen, ist aber hinsichtlich der Entwicklung von Insektizid-Resistenzen meist wirkungslos. Die Nutzung von Sortenresistenzen gegen Pilzkrankheiten ist in den meisten Ackerbaukulturen eine Standardmaßnahme zur Vermeidung von Fungizid-Einsätzen und verzögert somit die Entwicklung von Fungizid-Resistenzen; Sortenresistenzen sind dagegen bei Insekten (bis auf sehr wenige Ausnahmen im Gemüsebau) nicht nutzbar und daher ohne Einfluss auf die Dynamik von Insektizid-Resistenzen. Bodenbearbeitungsmaßnahmen können teilweise Herbizid- Einsätze ersetzen und somit zur Verzögerung von Herbizid-Resistenzen beitragen; allerdings sind hierbei der Energieeinsatz, die Erhöhung der Erosionsgefährdung und die limitierten Einsatzmöglichkeiten und -zeiträume zu beachten. Der Einsatz von biologischen, biotechnischen und mechanischen Bekämpfungsmaßnahmen trägt in einigen Kulturen wesentlich zur Reduktion des Insektizid-Einsatzes bei (vgl. Beispiele hierzu unter der Antwort zu den Fragen 3 und 4) und ist daher ein zentraler Baustein in Anti-Resistenz-Strategien. Neben dem erfolgreich praktizierten, gezielten Nützlingseinsatz im Obst- und Weinbau sowie in Gewächshäusern zur Bekämpfung von Spinnmilben und Schadinsekten gewinnt die Anwendung von pilzlichen Antagonisten zur Bekämpfung holzzerstörender Pilze (ESCA) im Weinbau (Pflanzgutvermehrung, Rebanlagen) an Bedeutung. Dadurch können im begrenzten Rahmen Fungizide eingespart werden, was den ohnehin starken Selektionsdruck für Fungizid-Resistenz vermindern kann. Der Effekt von natürlich vorkommenden Nützlingen auf die Regulation der Populationsdynamik von Schadinsekten ist relativ limitiert. In der Regel erfolgt der Aufbau einer starken Nützlingspopulation erst nach einer Massenvermehrung der Schädlinge, sodass eine natürliche Bekämpfung oft erst stattfindet, wenn eine Schädigung bereits eingetreten ist. Bei Vermehrungen von Getreideblattläusen kann es häufiger zur rechtzeitigen Bekämpfung durch natürlich vorkommende Nützlinge und Parasitoide kommen. Im Obstbau unterliegen natürlich vorkommende Nützlingspopulationen (z. B. Marienkäfer oder Blutlauszehrwespen) starken Populationsschwankungen und können daher nur unterstützend bei der Bekämpfung von Schädlingen wirken. Habitate in Agrarlandschaften beherbergen sowohl Nützlinge als auch Schadinsekten. Von ihnen kann also sowohl ein Schädlingsdruck für benachbarte Kulturen als auch eine bekämpfende Wirkung durch die dort beheimateten Nützlinge ausgehen. Im Rahmen der Bekämpfung der Kirschessigfliege beginnt man die Bedeutung von bestimmten Gehölzpflanzen als sog. Sackgassenwirte (die Kirschessigfliege belegt die Früchte des Sackgassenwirtes mit Eiern; diese können ihren Entwicklungszyklus jedoch nicht vollenden) zu verstehen und versucht derzeit den Nutzen zu bewerten.

Zu Frage 6:
Trotz der teilweise starken Resistenzentwicklung von Schädlingen, Pilzkrankheitserregern oder Unkräutern gegen einige Pflanzenschutzmittelwirkstoffe wurden bisher keine Zulassungen aus Resistenzgründen zurückgezogen. Allerdings wurde die Anzahl der erlaubten Anwendungen dieser resistenzgefährdeten Wirkstoffe begrenzt (Anwendungsauflagen, Beratungsstrategie der Pflanzen- schutzdienste), um den Selektionsdruck zu reduzieren.

Das größte Problem im Hinblick auf die Entwicklung von Resistenzen ist derzeit die mangelnde (und weiter abnehmende) Verfügbarkeit von mehreren Wirkstoffen mit unterschiedlichem Wirkmechanismus in den meisten Kulturen, besonders in den zahlreichen kleineren Kulturen im Gartenbau. Um eine effiziente Anti-Resistenz-Strategie betreiben zu können, sind für die wichtigsten Schaderreger jedoch mehrere verschiedene Wirkstoffgruppen erforderlich. Der Nationale Aktionsplan Pflanzenschutz, der in 2013 erstellt wurde, setzt das Ziel, dass „in 80 Prozent aller relevanten Anwendungsgebiete bis 2023 jeweils mindestens drei Wirk- stoffgruppen zur Verfügung stehen“. Die Erreichung dieses Ziels ist sehr unwahrscheinlich, da zunehmend momentan noch verfüg- bare Wirkstoffe wegen der stark verschärften Kriterien nicht mehr erneut zugelassen werden und kaum noch neue Wirkstoffe entwickelt werden. Als Folge davon ist ein Wirkstoffwechsel unmöglich und die wenigen Wirkstoffe werden immer häufiger eingesetzt, was die Resistenzentwicklung stark befördern wird. Erschwerend wirken sich auch die Spezifikationen des Lebensmitteleinzelhandels aus, welche eine Restriktion der maximalen Anzahl von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen in Obst und Gemüse vorschreiben, obwohl die Rückstände oft um Zehnerpotenzen unterhalb der erlaubten Rückstandshöchstgehalte liegen und eine Verbrauchergefährdung ausgeschlossen ist. Auch dies führt zum häufigeren Einsatz weniger Wirkstoffe und steht einer effizienten Anti-Resistenz-Strategie diametral entgegen. Besonders im Obst- und Gemüseanbau existieren zahlreiche Anwendungsgebiete, in denen kein Wirkstoff bzw. lediglich ein oder zwei Wirkstoffe ausgewiesen sind. Auch im Weinbau gibt es solche Indikationslücken.

Zu Frage 7:
Daten zur jährlich abgesetzten Menge der zugelassenen Pflanzenschutzmittel werden auf Bundesebene vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) erfasst. Sie können auf der BVL-Homepage abgerufen werden unter: www.bvl.bund.de/psmstatistiken.


Dr. Volker Wissing
Staatsminister

 

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