Mündliche Anfrage

der Abgeordnete Jutta Blatzheim-Roegler, Andreas Hartenfels und Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Abriss des AKW Mülheim-Kärlich – vereintes Bürgerengagement ebnete den Weg in eine atomfreie Zukunft
Plenarsitzung 17/87


Am 9. August 2019 wurde der Kühlturm des AKW Mülheim-Kärlich erfolgreich und kontrolliert zum Einsturz gebracht. Das AKW Mülheim-Kärlich ist das bislang größte seiner Art in Deutschland, das zurückgebaut wird. Im Jahr 2002 begann die Entfernung von Uranbrennstäben aus dem Reaktorblock, bis zum Jahr 2025 soll der Rückbau vollständig abgeschlossen sein. Wegen eines fehlerhaften Baugenehmigungsverfahrens war der kommerzielle Leistungsbetrieb des AKW schon nach 13 Monaten einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 1988 folgend abgeschaltet worden.

Wir fragen die Landesregierung:
1. Wie hoch sind bereits die Kosten, die für das Land Rheinland-Pfalz im Zusammenhang mitdem AKW Mülheim-Kärlich entstanden sind?
2. Wie hoch schätzt die Landesregierung die Folgekosten für den Rückbau, die Entsorgungund die Lagerung der radioaktiven Abfälle ein?
3. Wie ist die Aufteilung der Kosten nach Kenntnissen der Landesregierung zwischen der Betreiberin RWE und den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern?
4. In welcher Phase befindet sich aktuell die Standortauswahlsuche für einen Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle in Deutschland?


Ulrike Höfken, Ministerin für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten:
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Abbruch des Kühlturms des ehemaligen AKW Mülheim-Kärlich steht symbolisch nicht nur für das Ende der Atomenergie in Rheinland-Pfalz, sondern auch für einen Neuanfang in die Energiewende.

Es ist schon ein historischer Moment; denn in Mülheim-Kärlich begann der Atomausstieg. Es gelang dort erstmals den Bürgerinnen und Bürgern und Kommunen durch Klagen aufgrund von gravierenden Sicherheitsproblemen, den Betrieb eines AKW zu stoppen. Es war auch ein Kampf gegen Machtmissbrauch. Das muss man betonen; denn die damalige Regierung Kohl mit den Ministern Beth und Holkenbrink musste sich hinterher massive Vorwürfe gefallen lassen.

Das Verfahren wurde durchgepeitscht. Lasche Sicherheitsauflagen wurden gemacht und das Atomgesetz missachtet.

Eine Amtspflichtverletzung, so titelte es auch der SPIEGEL.

Es ist ein Sieg der Rechtsstaatlichkeit über eine solche Vorgehensweise. Deshalb gilt mein besonderer Dank den engagierten Menschen, die sich für den Schutz von Umwelt und Gesundheit, den Schutz der Bevölkerung eingesetzt haben. Diese haben entscheidend dazu beigetragen, dass sich die politischen Mehrheiten für den Atomausstieg geändert haben.

Dabei waren Menschen wie Frau Helga Vowinckel, Herr Thal oder Herr Professor Grimmel. Elke Sodemann-Müller und Joachim Scheer erhalten für dieses Engagement die Verdienstmedaille des Landes Rheinland-Pfalz. Nicht zuvergessen ist die Stadt Neuwied.

Mein Dank geht auch an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von RWE, die diese politische, aber auch gesellschaftliche Entwicklung verantwortungsvoll mittragen und einen unglaublichen Einsatz beim Rückbau der Anlage zeigen. Das gilt im Übrigen auch für die Baufirmen. Ich habe mich in der letzten Woche im nuklearen Teil der Anlage von diesen Entwicklungen, die sehr herausfordernd sind, überzeugt.

Der Dampferzeuger und der Reaktordruckbehälter werden abgebaut. Das geschieht unter Beachtung aller notwendigen Strahlenschutz- und Arbeitsschutzmaßnahmen.

Schrittweise werden die verbleibenden Betriebssysteme abgebaut, bis alle Anlagengebäude für abschließende Beprobungen und Messungen frei sind. Dann kommt die Entlassung aus dem Regelungsbereich des Atomgesetzes als letzter Schritt. Damit ist das Kapitel der Atomenergienutzung in Rheinland-Pfalz beendet.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zu Frage 1:
Natürlich ist die Frage nach den Kosten sehrberechtigt, auch wenn man den unglaublichen Aufwand sieht, der nötig ist, um die Anlage abzubauen. Die genauen Zahlen und Kosten unterliegen den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Dennoch hat die Betreiberin Angaben gemacht. Nach diesen Angaben waren für den Standort Mülheim-Kärlich für Stilllegung und Rückbau derAnlage 800 Millionen Euro geplant, wovon etwa die Hälfte verausgabt ist. Darin sind nicht die Kosten der Endlagerung enthalten, um das zu sagen; denn die werden anders geregelt. Das kommt in Ihrer weiteren Frage vor.

Natürlich ist es für die Steuerzahler und -zahlerinnen genauso wie für die Stromkunden und -kundinnen sehr wichtig, sich die ganze Entwicklung noch einmal vor Augen zuführen; denn die Errichtungskosten für das AKW Mülheim-Kärlich beliefen sich auf rund 3,5 Milliarden Euro. Das waren damals noch D-Mark, natürlich das Doppelte. Das war für 13 Monate Betriebszeit. Das ist wirklich etwas, bei dem wir sagen, das war keine verantwortungsvolle Politik, die dazu geführt hat, ein solches Atomkraftwerk zu betreiben mit enormen Kosten für die Gesellschaft, die Kommunen und letztendlich für die Stromkosten. Das sind keine gemeinnützigen Gesellschaften, sondern Unternehmen, die die Kosten umlegen. Die Kommunen als Aktionäre haben das ziemlich zu spüren bekommen.

Mit den Abbruchkosten summiert sich das Ganze auf insgesamt 4,3 Milliarden Euro für die 13 Monate. Wir hatte nmit einem großen, milliardenschweren Risiko für das Land zu kämpfen. Das ist Gott sei Dank nicht eingetroffen. Das wurde abgewendet. Dieses Risiko lag in der Schadensersatzklage der RWE Power AG gegen das Land Rheinland-Pfalz. Im Rahmen der Atomkonsensvereinbarungen 2001 hat RWE diese Schadensersatzklage zurückgezogen. Es wurde vereinbart, dass RWE die Anwaltskosten übernimmt.

Von den übrigen Kosten war das Land befreit, so dass durch diesen Atomkonsens unter Rot-Grün für das Land Rheinland-Pfalz eine gute Lösung erreicht werden konnte.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass die nachfolgende CDU-Regierung diesen Atomkonsens 2010 wieder rückgängig gemacht und Mehrkosten in Höhe von etwa 7 Milliarden Euro verursacht hat. Das gilt bislang. Wahrscheinlich werden noch weitere dazukommen. Das finde ich eineKonsequenz politischen Handelns, die die Stromkunden massiv trifft.

Zu den Fragen 2 und 3:
Die Kostenregelung für Entsorgung und Lagerung der radioaktiven Abfälle ist seit 2017 im Entsorgungsfondsgesetz geregelt. Dazu gibt es eine Stiftung.

Die Betreiber der 25 deutschen Atomkraftwerke haben die gesetzliche Verpflichtung – das haben sie auch gemacht –, 24 Milliarden Euro dort einzuzahlen, um die Kosten der Entsorgung abzudecken. Ob das reicht, weiß man heute nicht. Wenn sie allein auf die Asse mit ihren Folgekosten sehen, dann stehen einem die Haare zu Berge. Man muss Schlimmstes erwarten. Das Bundeswirtschaftsministerium hat eine Folgenschätzung durch einen Wirtschaftsprüfer vorgenommen. Diese hat gesagt, bis zum Jahr 2099 – das ist gar nicht mehr so lange hin, aber doch noch eine Zeit, danach hört es leider mit den Kosten auch nicht auf – sollen 170 Milliarden Euro Kosten für den Rückbau der Kraftwerke und die Entsorgung der Brennstäbe anfallen.

Also, eine Atomtechnologie ist eine sehr teure Angelegenheit zulasten der Stromkunden.

(Abg. Matthias Joa, AfD: Ja, wenn man sie abwrackt!)

– Lieber Herr Kollege von der AfD, die Kosten würden so oder so anfallen.

Zu Frage 4:
Die Suche nach dem Endlagerstandort ist immer noch am Anfang. Das ist ein schwieriger Prozess. Der Auswahlprozess erfolgt in drei Phasen. Wir befinden uns in Phase eins. Das ist die Ermittlung der Standortregion für die übertägige Erkundung. Ich bin überzeugt, es wird sehr viele Diskussionen mit der Gesellschaft über einen solchen Standort geben. Alle müssen sich daran beteiligen.

Im Moment sammelt der Vorhabenträger die vorhandenen geowissenschaftlichen Daten. Rheinland-Pfalz liefert diese dazu. Hinterher wird es ein Ergebnis geben, wo mögliche Endlager infrage kommen.

Vielen Dank.

 

Hier Plenarprotokoll (PDF) herunterladen

zurück