Kleine Anfrage 17/12208

der Abgeordneten Dr. Bernhard Braun, Andreas Hartenfels, Jutta Blatzheim-Roegler und Pia Schellhammer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wasserstoffstrategie für Rheinland-Pfalz – neue Pläne der Bundesregierung
Drucksache 17/12408


Die Kleine Anfrage – Drucksache 17/12208 – vom 26. Juni 2020 hat folgenden Wortlaut:

Das Bundeskabinett hat am 10. Juni 2020 seine Pläne zur Nationalen Wasserstoffstrategie vorgestellt. Sie soll als Grundlage für den Aufbau eines Marktes für Wasserstoff dienen und helfen, Deutschland zum Vorreiter in Wasserstofftechnologien zu machen. Die Bundesregierung sieht bis 2030 einen Wasserstoffbedarf von ca. 90 bis 110 TWh. Um einen Teil dieses Bedarfs zu decken, sollen bis zum Jahr 2030 in Deutschland Erzeugungsanlagen von bis zu 5 GW Gesamtleistung einschließlich der dafür erforderlichen Offshore- und Onshore-Energiegewinnung entstehen. Aus dem Corona-Konjunkturpaket sollen Finanzmittel in Höhe von 9 Milliarden Euro fließen, um die Entwicklung der Wasserstofftechnologien zu unterstützen. Der grüne Wasserstoff soll laut Plänen der Bundesregierung nur zum Teil aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Um den zukünftigen Bedarf zu decken, wird der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage laut Einschätzung der Bundesregierung importiert werden müssen und kann nicht nur mit der lokalen Erzeugung von grünem Wasserstoff bedient werden. Zum gleichen Termin hat das Bundeskabinett den überarbeiteten Nationalen Energie- und Klimaplan verabschiedet, mit dem der EU-Kommission die EU-Energieziele Deutschlands bis 2030 gemeldet werden sollen. Vorgesehen ist darin ein Ausbau des Anteils erneuerbarer Energien auf lediglich 30 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs im Jahr 2030.

Wir fragen die Landesregierung:
1. Mit welchen Maßnahmen wird die Landesregierung im Hinblick auf den Klimaschutz den vom Landtag (Drucksache 17/11951) geforderten Aufbau einer vorrangigen Versorgung mit grünem Wasserstoff verfolgen?
2. Für welche konkreten Zwecke sollten aus Sicht der Landesregierung die Konjunkturhilfen zur Entwicklung bzw. Nutzung von grünem Wasserstoff genutzt werden?
3. Wie bewertet die Landesregierung die vom Bundeskabinett verabschiedete Nationale Wasserstoffstrategie und das Klimaschutzpaket im Hinblick auf die dort bekundete Absicht, die Erzeugung von klimaneutralem Wasserstoff von der auch für Rheinland-Pfalz relevanten EEG-Umlage freizustellen?
4. Wie bewertet die Landesregierung den überarbeiteten Nationalen Energie- und Klimaplan der Bundesregierung, der am 10. Juni 2020 an die EU-Kommission geschickt wurde, mit Blick auf den für die Wasserstoffentwicklung notwendigen Ausbauplan für die erneuernaren Energien auch im Hinblick auf Rheinland-Pfalz?


Das Ministerium für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 14. Juli 2020 wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung:
Treibhausgasneutral erzeugter Wasserstoff wird für das Erreichen der rheinland-pfälzischen und nationalen Klimaschutzziele sowie der internationalen Klimaschutzverpflichtungen Deutschlands einen wichtigen Beitrag leisten.

Dabei ist sowohl die energetische Nutzung von Wasserstoff als Brennstoff und als Energiespeicher wie auch die stoffliche Nutzung als Rohstoff für industrielle Prozesse zu berücksichtigen. Insbesondere grüner Wasserstoff als regenerativer Energieträger leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zum Aufbau einer sicheren Energieversorgung auf der Basis Erneuerbarer Energien, sondern auch zur Dekarbonisierung unserer Wirtschaft.

Insbesondere bei der industriellen Anwendung kann während des Transformationsprozesses der schrittweisen Entwicklung der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität auch der sogenannte türkise Wasserstoff eine Rolle spielen, der bei der Pyrolyse von Erdgas unter Abscheidung von festem Kohlenstoff gewonnen wird. Hier gilt es, die Fortschritte in der Entwicklung und Skalierung dieser Technologie konstruktiv zu begleiten.

Die Herstellung von CO2-neutralem Wasserstoff ist im Vergleich zu Wasserstoff aus der Dampfreformierung oder zur direkten Erdgasverwendung infolge zusätzlicher Prozessschritte mit Effizienzverlusten und höheren Erzeugungskosten verbunden. Daher soll CO2-neutraler Wasserstoff bevorzugt in den Anwendungsfeldern eingesetzt werden, in denen ein direkter Einsatz erneuerbarer Energien nicht möglich oder nicht wirtschaftlich sinnvoll ist und Treibhausgasemissionen in einem hohen Umfang ersetzt werden können. Hierzu zählen u. a. industrielle Prozesse, aber auch schwer elektrifizierbare Bereiche der Mobilität, z. B. der Flugverkehr, die Schifffahrt oder die Nutzfahrzeuge. Wasserstoffbasierter Pkw-Verkehr steht wegen einer deutlich geringeren Energieeffizienz im Vergleich zu batteriebasierten Elektrofahrzeugen demgegenüber nicht im Fokus zukünftiger Anwendungen.

Der rheinland-pfälzische Landtag hat am 28. Mai diesen Jahres einen Beschluss zum Thema „H2-Strategie Rheinland-Pfalz: Nutzung von Wasserstoff in Industrie, Mobilität und Energie sektorenübergreifend voranbringen“ gefasst. Darin spricht sich der Landtag u. a. dafür aus, den Bedarf an CO2-freiem Wasserstoff vorrangig durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien und Wasserstoff-Erzeugung in Rheinland-Pfalz sowie ergänzend durch Importe abzudecken.

Die Bundesregierung hat am 3. Juni 2020 ein Eckpunkte-Papier zum Konjunktur- und Krisenbewältigungsprogramm zu Corona vorgelegt. Das Corona-Konjunktur-Programm beinhaltet u. a. wesentliche Schwerpunkte zur zukünftigen Förderung der Erzeu-gung und Nutzung von Wasserstoff und der damit verbundenen Technologieentwicklung. Das Corona-Konjunkturpaket sieht vor, 7 Mrd. Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien in Deutschland und weitere 2 Mrd. Euro für die Bildung internationaler Partnerschaften mit Bezug zur Wasserstofferzeugung aus Bundesmitteln bereitzustellen.

Die Schwerpunkte zum Aufbau einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft in Deutschland wurden vom Bund durch die Nationale Wasserstoffstrategie vom 10. Juni 2020 weiter konkretisiert.

Wasserstoff bietet große industriepolitische Chancen, auch für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Daher wollen wir einen möglichst großen Teil dieser Konjunkturmittel für Rheinland-Pfalz nutzbar machen und das Land als Industriestandort noch zukunftsfähiger aufstellen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1:
Der Aufbau einer vorrangig grünen Wasserstoffversorgung findet in Rheinland-Pfalz bereits statt. Im Energiepark Mainz-Hechtsheim produziert eine der deutschlandweit größten und innovativsten PEM-Elektrolyseanlagen der Stadtwerke Mainz AG mit Strom aus dem benachbarten Windpark bereits seit 2015 grünen Wasserstoff, seit 2018 sogar im kommerziellen Betrieb.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung setzt bei dem weiteren Aufbau einer CO2-freien Wasserstoffversorgung insbesondere auf grünen Wasserstoff aus regionalen regenerativen Energiequellen. Das stärkt die regionale Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze im Land. Schwerpunkte beim Ausbau einer zukünftigen, vorrangig grünen Wasserstoffversorgung sieht die Landesregierung insbesondere in den Anwendungsfeldern Industrierohstoffe, Energiespeicherung und Flexibilisierung der Energieversorgung sowie beim Einsatz in Nutzfahrzeugen.

Insbesondere in der chemischen Industrie wird aufgrund der anstehenden Transformation in Richtung klimaneutraler Produktion ein hoher Bedarf an CO2-freiem Wasserstoff als Industrierohstoff erwartet. Die Produktion von CO2-freiem Wasserstoff wird damit absehbar zum Standort- und Wertschöpfungsfaktor. Seit 2019 steht die Landesregierung in direktem Austausch mit Vertretern der rheinland-pfälzischen Industrie und der Energiewirtschaft zu den Möglichkeiten und Anforderungen des Einsatzes von CO2-frei erzeugtem Wasserstoff in Industrieprozessen, beispielsweise im Rahmen eines Runden Tisches mit dem Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft e. V. (VIK).

Wasserstoff aus Power-to-Gas-Anlagen wird in einem vollständig regenerativen Energieversorgungssystem eine hohe Bedeutung als Langzeit-Energiespeicher mit hoher Kapazität erlangen. Darüber hinaus wird grüner Wasserstoff in Kraft-Wärme-Kopplung wichtige Beiträge für die treibhausgasneutrale Deckung der Residuallast, d. h. der Differenz von Stromverbrauch und EE-Stromerzeugung zum gleichen Zeitpunkt, sowie für die Bereitstellung von Regelleistung leisten. Die Landesregierung setzt sich darum bereits seit Jahren auf Bundesebene für bessere Rahmenbedingungen für die notwendige Flexibilisierung der Energieversorgung sowie für die vollständige Befreiung der Energiespeicherung von allen staatlichen induzierten Letztverbraucherabgaben ein.

Im Bereich der Nutzfahrzeuge nimmt Rheinland-Pfalz national und international eine führende Rolle ein. Zur Sicherung und Weiterentwicklung unseres Industriestandorts ist die Entwicklung wasserstoffbasierter Verbrennungsmotoren für diesen Bereich von herausragender Bedeutung. Diese Technologie eröffnet die Möglichkeit, CO2-freie und gleichzeitig kostengünstige Nutzfahrzeugantriebe zu realisieren. Die Aktivitäten des Landes erfolgen im Rahmen der vor Kurzem vorgestellten Wasserstoffstrategie über die Gründung eines Netzwerks „Wasserstoff für Nutzfahrzeuge“ unter dem Dach des Commercial Vehicle Cluster (CVC) sowie über die Begleitung von Forschung und Entwicklung.

Zu Frage 2:
In Rheinland-Pfalz wurden und werden bereits eine Reihe von Wasserstoff-Projekten mit bundesweiter Bedeutung umgesetzt. Diese Aktivitäten sollen im Rahmen des Corona-Konjunkturprogramms - durch Bundesmittel unterstützt – weiter ausgebaut werden. Darüber hinaus bestehen eine Reihe neuer Ideen zu Wasserstoffprojekten im Land. Stellvertretend können hier u. a. als Beispiele angeführt werden:

- Einrichten realistischer Testumgebungen für zu entwickelnde Sensorik und Sicherheitstechnik für Anwendungen im Bereich des komprimierten Wasserstoffs und Flüssigwasserstoffs u. a. bei Fraunhofer-Einrichtungen des Landes,
– Projekt „SmartQuart – Wasserstoffbasiertes Microgrid auf dem Land“ in Kaisersesch, das am 16. Dezember 2019 eine Förderzu-sage des BMWi im Rahmen der Reallabore der Energiewende erhielt und im Januar 2020 gestartet ist, oder
– Erweiterung der Methanisierungs-Anlage des Energieparks Pirmasens um eine Elektrolyseanlage zur Erzeugung von grünem Wasserstoff,
– Gründung des Netzwerks „Wasserstoff für Nutzfahrzeuge“ unter dem Dach des CVC sowie die Begleitung von Forschung und Entwicklung im Rahmen der rheinland-pfälzischen Wasserstoffstrategie Nutzfahrzeuge.

Zur Umsetzung des Corona-Konjunkturprogramms der Bundesregierung mit dem Schwerpunktthema Wasserstoff sowie der Nationalen Wasserstoffstrategie wollen wir einen maßgeblichen Beitrag leisten. Wir wollen möglichst viele der zusätzlichen Bundesmittel für Rheinland-Pfalz einwerben. Zur Vernetzung mit den Akteuren und zur Entwicklung von Projekten wird eine interministerielle Projektarbeitsgruppe unter Einbeziehung externer Experten eingerichtet, die kurzfristig ihre Arbeit aufnehmen soll.

Zu Frage 3:
In ihrem Aktionsplan zur Nationalen Wasserstoffstrategie erkennt die Bundesregierung in Maßnahme 1 an, dass für die Erzeugung von grünem Wasserstoff, aber auch für die Sektorenkopplung, eine an den Klimazielen und den Zielen der Energiewende ausgerichtete Ausgestaltung der staatlich induzierten Preisbestandteile erforderlich ist. Der Bund will prüfen, ob der Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff von der EEG-Umlage befreit werden kann. Das entspricht den Forderungen, die die Mehrheit der Bundesländer bereits seit Jahren erhebt. Diese Frage wird erheblichen Einfluss auf den Erfolg der Wasserstoffstrategie haben.

Die großtechnische, klimaneutrale Herstellung von Wasserstoff muss langfristig wirtschaftlich und wettbewerbsfähig zu fossilen Energieträgern werden. Zu den nötigen Rahmenbedingungen gehört eine weitgehende Befreiung von regenerativ erzeugtem Elektrolysestrom von staatlich induzierten Strompreis-Bestandteilen. So wird aktuell die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse in Abhängigkeit vom Verwendungszweck beispielsweise bei Einleitung in das Erdgasnetz mit der vollen EEG-Umlage, bei Verwendung als Industriegas im Rahmen der besonderen Ausgleichsregelung mit einer anteiligen EEG-Umlage belegt.

Die rheinland-pfälzische Landesregierung wird den Prozess der Neugestaltung der staatlich induzierten Strompreisbestandteile sowie der EEG-Umlagebefreiung bei der Herstellung von klimaneutralem Wasserstoff aktiv begleiten. Denn für den Aufbau einer international wettbewerbsfähigen Wasserstoffwirtschaft ist es erforderlich, die Erzeugung von grünem, aber auch türkisem Wasserstoff in Deutschland unabhängig von der Art des Strombezugs (Eigenstrom, Direktstrom, PPA-Modelle) vollständig von der EEG-Umlage zu befreien.

Zu Frage 4:
Die Landesregierung bewertet den NECP und die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung aus Sicht des Klimaschutzes sehr positiv. Der Aufbau einer grünen Wasserstoffversorgung aus Erneuerbaren Energien ermöglicht eine Abkehr von den bisher merklich zum CO2-Ausstoß beitragenden fossilen Energiesektoren. Dazu ist ein zusätzlicher Ausbau der regenerativen Stromerzeugung im Land erforderlich. Hierfür müssen insbesondere auf Bundesebene die erforderlichen energierechtlichen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Der zügige Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein Schlüssel für den erfolgreichen Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Photovoltaik und insbesondere Windenergie spielen dabei die wesentliche Rolle, zumal sie eine hohe Wertschöpfung in die Regionen bringen. Darum wird sich die Landesregierung aktiv in die Ausgestaltung der anstehenden EEG-Novelle einbringen.

Das Repowering von Windenergieanlagen, die aus dem EEG fallen, ist dazu ebenfalls nötig. Durch Repowering können an geeigneten und etablierten Standorten mit neuer Technik Belastungen gemindert und gleichzeitig Stromerträge vervielfacht werden. Dementsprechend ist eine weitere Nutzung dieser Standorte sinnvoll im Sinne der Energiewende und des Naturschutzes. Ziel ist es, möglichst viele der Bundesmittel nach Rheinland-Pfalz zu lenken und so die heimische Konjunktur nachhaltig zu beleben und Rheinland-Pfalz weiter entscheidend Richtung Klimaneutralität voranzubringen.


Ulrike Höfken
Staatsministerin

 

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