Kleine Anfrage 18/1126

der Abgeordneten Jutta Blatzheim-Roegler und Fabian Ehmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nationalpark Hunsrück-Hochwald
Drucksache 18/1302 –


Die Kleine Anfrage – Drucksache 18/1126 – vom 21. September 2021 hat folgenden Wortlaut:

Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald ist ein Erfolgsprojekt: Das ausgeklügelte Wegesystem, die einzigartigen „Hangbrücher“ und regionale Kooperationspartner kombiniert mit den geführten Rangertouren machen den Nationalpark zu einem touristischen Highlight in Rheinland-Pfalz. Auch die ökologische Entwicklung hin zu einem Wildnisgebiet schreitet voran und bietet zahlreichen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten einen wertvollen Lebensraum.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:
1. Welche konkreten ökologischen Aufwertungsprojekte im Nationalpark wurden seit Juli 2020 umgesetzt?
2. Welche Entwicklungen wurden in der sogenannten Naturzone durch den Borkenkäfer, Windwürfe und Schneebrüche in Gang gesetzt?
3. Welche gefährdeten Tier- und Pflanzenarten können im Nationalpark gesichtet/gefunden werden?
4. Wie viele geführte Touren (aufgeschlüsselt nach Touren durch zertifizierte Nationalparkführer, Rangertouren und Touren für Menschen mit Behinderungen) konnten während der Pandemie durchgeführt werden, bzw. wie viele Menschen haben in diesem Zeitraum schätzungsweise an den Touren im Nationalpark teilgenommen?
5. Wie konnte die Nationalpark-App dazu beitragen, auch zu Pandemie-Zeiten Informationen zum Nationalpark an Interessierte weiterzutragen?
6. Welche Möglichkeiten zur Umweltbildung konnten darüber hinaus, z. B. von Schulklassen und Besuchergruppen, während der Pandemie in der Nationalparkregion genutzt werden?
7. Welche Weiterentwicklungen (ökologisch und touristisch) sind in den kommenden Jahren im Nationalpark bzw. der Region geplant?

Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 11. Oktober 2021 wie folgt beantwortet: 

Vorbemerkung:
Die ökologische Entwicklung des Nationalparkgebietes ist auch im siebten Jahr seines Bestehens günstig vorangeschritten. Gleiches gilt für die übrigen gesetzlich verankerten Themenfelder und die Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung der Nationalparkregion. Angesichts der schwierigen Bedingungen im Zuge der Corona-Pandemie haben insbesondere die digitalen Angebote des Nationalparks eine besondere Nachfrage und Bedeutung erfahren.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1:
Die Arbeiten im EU-LIFE-Projekt „Hangmoore im Hochwald“ konnten weitgehend zum Abschluss gebracht werden. Hierbei standen Maßnahmen zum Verschluss von Gräben in der Fläche und entlang von Wegen, die Anlage von Furten und die Fortsetzung der wissenschaftlichen Untersuchungen im Vordergrund. Das Projekt endet mit Ablauf des Jahres 2021. Mittlerweile wurden an über 1 700 Stellen Gräben verschlossen. Die begleitenden Untersuchungen zum Wasserhaushalt und -abfluss im Einzugsbereich der Projektflächen zeigen, dass die Maßnahmen greifen. Nach starken Niederschlägen sind die Abflussspitzen geringer und kommen später. Der Wasserrückhalt auf der Fläche als Grundlage für die künftige eigendynamische Entwicklung ist spürbar verbessert worden.

Nach wie vor ist natürlich der Prozessschutz oberstes Ziel im Nationalpark, dennoch existieren in der Pflegezone Offenland-Bereiche, die ständig des menschlichen Eingriffs bedürfen, um die dort aus historischer Nutzung entstandenen Habitatstrukturen und die damit assoziierten Organismengruppen zu erhalten. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um Grünland der Rodungsinseln (Muhl, Börfink, Einschiederhof, Hujetssägemühle, Thraneneier, Neuhof). Um eine naturschutzfachliche Mahd zu gewährleisten, wurden mit sechs Landwirten (inkl. Landschaftspflegeverband Birkenfeld) und drei Pferdebesitzern der Region nationalparkkonforme Verträge geschlossen.

Des Weiteren wurden, ebenfalls außerhalb der 1a-Zone, an den Hütten Fledermauskästen angebracht und an zwei „Ruinen“ der Wassernutzung (alte Quellfassungen) bauliche Veränderungen im Hinblick auf Fledermaustauglichkeit in Angriff genommen.

Bei der Frage nach ökologischen Aufwertungsprojekten darf nicht vergessen werden, dass das wichtigste und somit zentrale „Projekt“ das Nichteingreifen ist.

Zu Frage 2:
In großen Bereichen der Naturzone hat sich in Fortsetzung der Jahre 2018, 2019 und 2020 auch in 2021 der Befall durch Fichtenborkenkäfer fortgesetzt. Hinzu kam Anfang des Jahres in Höhenlagen über 600 m eine in dieser Form in jüngerer Zeit nicht mehr dagewesene Schneelage. In Verbindung mit wechselndem Tauen und Wiederanfrieren wurden die Lasten so schwer, dass etliche Bäume gebrochen oder umgestürzt sind. Auch viele Wege waren unpassierbar. Infolgedessen war der Nationalpark über mehrere Wochen ein nahezu unberührtes Gebiet.

Im Gegensatz zum Wirtschaftswald stellen diese naturdynamischen Prozesse in einem Nationalpark keine wirtschaftliche Kalamität dar. Im Gegenteil: Da die Flächen nicht geräumt werden, sondern sich selbst überlassen bleiben, entwickeln sich vielfältigste Strukturen auf engstem Raum. Die Dynamik des Ansamens neuer Bäume und anderer Pflanzen, die Wechselwirkungen zwischen Wald und Wild, der hohe Anteil stehenden Biotopholzes und die hohe Zersetzungsrate auf dem Boden liegender Bäume lassen die Entwicklung eines deutlich anderen Waldes erwarten, als man es von zuvor geräumten und wiederaufgeforsteten Flächen kennt. Es wird erwartet, dass sich hierüber auch Lebensräume für seltene oder ausgestorben geglaubte Arten entwickeln. Im Nationalpark kann beobachtet werden, wie die Natur von sich aus Prozesse regelt und welche Resilienzen bestehen. Diese Entwicklung wird von einem intensiven wissenschaftlichen Monitoring begleitet, welches auch Rückschlüsse und Hinweise auf Vorgehensweisen im Wirtschaftswald geben kann.

Im Randbereich des Nationalparks in Nachbarschaft zu Fichtenflächen nachbarschaftlichen Waldbesitzes betreibt das Nationalparkamt hingegen aktives Borkenkäfermanagement und entnimmt in einer Tiefe zwischen 500 und 1 000 m befallene Bäume. Dies sichert den Grundsatz, dass vom Nationalpark keine wirtschaftlich schädigende Dynamik in das Umfeld greifen darf.

Zu Frage 3:
Im Zuge der momentan noch laufenden Pilzkartierung (1 900 Datensätze, 400 Arten, bis jetzt) konnte z. B. neben anderen Raritäten, wie Entoloma caccabas (3), Vibrissea truncorum (3), der extrem seltene (R) Thanatephorus ochraceus nachgewiesen werden.

Die avifaunistischen Erhebungen vom 18. bis 21. September 2021 lieferten eine beeindruckende Artenvielfalt:
Schwarzstorch, Fischadler, Rotmilan, Mäusebussard, Wespenbussard, Sperber, Rohrweihe, Wanderfalke, Baumfalke, Turmfalke, Straßentaube, Hohltaube, Ringeltaube, Eichelhäher, Dohle, Rabenkrähe, Tannenmeise, Mehlschwalbe, Rauchschwalbe, Singdrossel, Misteldrossel, Wacholderdrossel, Ringdrossel, Hausrotschwanz, Steinschmätzer, Heckenbraunelle, Wiesenpieper, Baumpieper, Bachstelze, Schafstelze, Buchfink, Kernbeißer, Erlenzeisig, Fichtenkreuzschnabel, Bluthänfling, Graureiher, Habicht, Waldkauz, Sperlingskauz, Grünspecht, Grauspecht, Schwarzspecht, Buntspecht, Elster, Kolkrabe, Kohlmeise, Blaumeise, Haubenmeise, Sumpfmeise, Weidenmeise, Zilpzalp, Mönchsgrasmücke, Kleiber, Star, Zaunkönig, Wasseramsel, Amsel, Rotkehlchen, Schwarzkehlchen, Haussperling, Dompfaff, Grünfink, Stieglitz.

Eine Grunderhebung der Mollusken ist noch nicht abgeschlossen.

Interessant ist der erste C1-Nachweis eines Wolfes (GW2104m) im Nationalparkgebiet, der aber nicht wieder in Erscheinung getreten ist.

Sichtungen zweier Luchse sind noch nicht bestätigt.

Die aufgeführten Organismen sind nur als exemplarisch für eine Vielfalt an untersuchten Tier- und Pflanzenarten anzusehen.

Zu Frage 4:
Bedingt durch Corona waren die Möglichkeiten, Rangertouren und Touren mit zertifizierten NationalparkführerInnen anzubieten, beschränkt. In Abstimmung mit den Ordnungsämtern hat das Nationalparkamt Standards erarbeitet, die ab Mai 2020 einen zumindest eingeschränkten Betrieb wieder ermöglicht haben. Im Zeitraum März 2020 bis August 2021 wurden folgende Touren durchgeführt:

Zu Frage 5:
Die Nationalpark-App wurde in den Jahren 2018 bis 2020 entwickelt. Sie sollte on- und offline sowie in- und outdoor funktionieren. Damit sollte eine Applikation für die gesamte Nationalparkfläche und alle Nationalpark-Tore entwickelt werden.

Im Frühjahr 2020 wurde die Nationalpark-App in einem digitalen Format feierlich vorgestellt. Durch verschiedene Videoclips der beteiligten Staatskanzleien und Ministerien wurde die Nationalpark-App releast. Hierdurch ist es gelungen, eine breite Öffentlichkeit auf dieses Angebot hinzuweisen. Die Nationalpark-App sollte sich fortan zu dem wesentlichen Angebotsträger und Vermittler an die Gäste entwickeln – nicht nur, aber gerade während der Pandemie. Kontaktlose, digitale Touren sind zu jeder Zeit verfügbar und ermöglichen niedrigschwellige Umweltbildung für viele Zielgruppen. Die App erhöht auch insbesondere für Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeit, den Nationalpark zu erleben. Touren in Gebärdensprache und leichter Sprache sind digital verfügbar. Auch sind damit erstmals Rangertouren in englischer Sprache möglich. Weitere Sprachen sollen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten realisiert werden.

Ein halbes Jahr nach Veröffentlichung konnte einer ersten Auswertung zufolge ein deutlich über den Erwartungen liegendes Ergebnis nachgewiesen werden: über 10 000 Anwendungen, davon ein Großteil am Nationalpark-Tor Erbeskopf. Mit diesen Daten zeigt sich auch, dass die naturverträgliche Besucherlenkung – ein sehr großes Thema in den Schutzgebieten – deutlich unterstützt wird. Die Anzahl der Anwendungen zeigt auch, dass die Nationalpark-App eine wesentliche Lücke in den Angeboten des Nationalparks schließt. So ist es das Ziel, 10 Prozent der Gäste auf geführten Angeboten zu begleiten. Das heißt, dass mindestens 90 Prozent der Gäste auf eigene Faust das Gebiet besuchen. Genau für diese 90 Prozent der Gäste ist die Nationalpark-App eine sehr gute Möglichkeit, sich zu orientieren, begleiten zu lassen und mehr über den Nationalpark zu erfahren.

Die Nationalpark-App hat sich in kürzester Zeit zu einem wesentlichen Instrument der Besucherlenkung, Information, Bildungsarbeit sowie der touristischen Inwertsetzung entwickelt. In den ersten Wochen rangierte die Nationalpark-App in den App-Stores immer unter den ersten 100 Reise-Apps, teilweise sogar unter den TOP 20.

Zu Frage 6:
Die Umweltbildungsangebote für Kitas und Schulen wurden im Schuljahr 2020/2021 pandemiebedingt nicht nachgefragt. Beginnend mit den Pfingstferien 2021 haben Landesforsten und das Nationalparkamt in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern wieder Veranstaltungen in den Ferien angeboten. Mit angepassten Hygienekonzepten können mittlerweile die Ausstellungen am Nationalpark-Tor Erbeskopf oder im WasserWissensWerk nahe der Steinbachtalsperre besucht werden. Auch werden vom Naturpark Saar-Hunsrück die Programme unter dem Motto „Tatort Natur – Junge Forscher unterwegs“ angeboten. In den Forstämtern der Nationalparkregion werden die waldpädagogischen Angebote unter dem Dach der „Rucksackschule“ durchgeführt. Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald bietet wieder seine Programme „Im Kleinen das Besondere entdecken!“ für Schule und Kindergärten an.

Zu Frage 7:
Die ökologische Weiterentwicklung wird sich im Wesentlichen auf die Ausdehnung der Naturzone erstrecken. Das Ziel, im Jahr 2045 einen Anteil von mindestens 75 Prozent zu erreichen, wird voraussichtlich deutlich früher erreicht. Nachdem im Jahr 2015 mit einem Anteil von 25 Prozent gestartet wurde, liegt er mit Umsetzung der Fortschreibung zum Jahresende 2021 bereits bei 45 Prozent. In jedem Fall wird das Ziel, nach 10 Jahren bei 50 Prozent zu liegen, eingehalten. Parallel greift die Umsetzung des Wegeplans, der eine Reduktion der Waldwege im Gebiet um ca. ein Drittel, bzw. rund 100 km, vorsieht. Ebenso wird die Wildruhezone im Kern des Gebietes ausgedehnt. Damit kommt man dem nach Bundesnaturschutzgesetz vorgegebenem Ziel für Nationalparks, einen störungsfreien Prozess der naturdynamischen Entwicklung zu ermöglichen, in großen Schritten näher.

Im Kern der touristischen Weiterentwicklung steht die stetige Anpassung der Angebote und eine höhere Sichtbarkeit für eine bessere und naturverträglichere Besucherlenkung. Die Standorte der Nationalpark-Tore werden Zug um Zug weiterentwickelt. Ein großer Impuls wird von dem Neubau des Nationalpark-Tores Keltenpark in Otzenhausen ausgehen. Durch die Insolvenz der beauftragten Agentur für den Aufbau einer Außenausstellung am Nationalpark-Tor Erbeskopf müssen die zeitlichen Ziele dort angepasst werden. Für das Jahr 2022 ist die Umsetzung des ÖPNV Planungskonzeptes Rheinhessen-Nahe im Landkreis Birkenfeld vorgesehen. Mit der neuen Linienstruktur und 7-tägigen, getakteten Fahrplanangeboten wird eine Anreise mit dem Nahverkehr auf ein anderes Niveau gehoben. Für die crossmediale Kommunikation über das WILDkatz-Magazin, die Nationalpark-App, die intensive Zusammenarbeit mit Dritten, insbesondere in der Partner-Initiative und die kreativen Marketingansätze im Einzelhandel für eine bessere Sichtbarkeit in der Nationalpark-Region wurde das Nationalparkamt am 13. September 2021 mit einem Destination-Award ausgezeichnet. Eine 14-köpfige Jury empfand die Umsetzung der Maßnahmen vom Nationalpark als kreativ, mutig und besonders innovativ. Neben der Qualität der Einzelmaßnahmen wurde dabei auch die intensive Netzwerkarbeit berücksichtigt. Das hatte schon die erste Evaluierung durch die Dachmarke der Nationalen Naturlandschaften e. V. (damals noch EUROPARC e. V.) herausgestellt. Der Nationalpark Hunsrück-Hochwald ist eine einmalige Chance für die nachhaltige Entwicklung der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland, deren Potenziale Zug um Zug auszuschöpfen sind. Neben den Nationalpark-Toren ist auf die touristische Beschilderung und Wanderparkplatz-Infrastruktur hinzuweisen. Eine Weiterentwicklung der Auffindbarkeit durch Beschilderung ist in Planung. Der Neubau des Nationalparkamtsgebäudes am Umweltcampus sorgt für eine bessere Verzahnung mit Region und Hochschule.

Bei der ökologischen Weiterentwicklung bestimmt auch in den kommenden Jahren die Natur den Weg. Im Mittelpunkt steht die weitere Ermöglichung des ungestörten Ablaufs der Naturvorgänge. Der Mensch soll sich weiter zurückziehen und die Naturdynamik auf größerer Fläche ohne Eingriffe stattfinden können.


Anne Spiegel
Staatsministerin

 

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