Plenarrede

AKTUELLE DEBATTE: 100 Jahre Frauenwahlrecht – Gleichstellung in Parlament und Gesellschaft endlich verwirklichen auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/8230 –


Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnenund Kollegen! „Ich will nicht, dass Frauen in politischen Versammlungen mitreden. Ich glaube, es sähe traurig aus um unser preußisches Volk, wenn die leichte Erregbarkeit der Frauen in öffentlichen Versammlungen das Volk bewegen sollte.“

(Heiterkeit der Abg. Hedi Thelen, CDU)

So 1902 der preußische Innenminister Hans von Hammerstein. Darüber sind wir heute hinweg, bekanntlich durften nach langem Kampf 1919 das erste Mal Frauen wählen. Ich zolle den mutigen Frauen von damals hohen Respekt!

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der FDP – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Den Sozialdemokraten!)

– Der Sozialdemokratie, die war da ganz vorne. Ich will jetzt nicht alle Eckdaten aufzählen, die sind nachzulesen.

Ich will heute die Frage stellen, wie weit wir denn in 100 Jahren nach Einführung des Frauenwahlrechts tatsächlich mit der Gleichstellung der Frau in Parlament und Gesellschaft gekommen sind.

Der knapp 9 %ige Frauenanteil im Parlament von 1919 wurde erst 1983 übertroffen. Damals zogen die Grünen das erste Mal in den Bundestag ein, schon damals mit einer paritätisch besetzten Liste. Mit dem grünen Frauenstatut und der grünen Frauenquote schrieb unsere Partei Geschichte, auch Frauengeschichte.

Wie sieht es heute, 36 Jahre später, aus? Der Anteil der Frauen im aktuellen Bundestag ist mit 30,9 % niedriger als vor 20 Jahren.

(Abg. Martin Haller, SPD: Das liegt an einer Partei!)

Die bei vielen unbeliebte Quote sorgt – zumindest bei den Parteien, die sie haben und nutzen – für bessere Chancen bei Frauen. Alle Parteien, die sich aktuell selbst Quotenregelungen für ihre Wahllisten gegeben haben, verfügenüber einen hohen Frauenanteil in den Parlamenten. Parteien ohne eine solche Selbstverpflichtung fallen durch ihre starke Männerdominanz auf.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Und durch andere Dinge!)

Im Grunde halte ich es für einen Skandal, dass Frauen noch immer darum kämpfen müssen: um Quoten, um paritätische Besetzung von Ämtern – nicht nur in der Politik – und um Gleichstellung. Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung, und – verdammt noch mal – ich will auch die Hälfte vom Kuchen!

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der Abg. Cornelia Willius-Senzer, FDP)

100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts wollen wir Frauen nicht noch einmal 100 Jahre warten, bis die Parität umgesetzt ist. Ich will mich auch nicht mit einer Frau Bundeskanzlerin abspeisen lassen. Im Übrigen hat Angela Merkel selbst im November 2017 gesagt, dass die Parität her muss.

Mit welcher Arroganz glauben viele Männer eigentlich immer noch, sie wären die geborenen Besseren? Nein, natürlich würde sich kein Mann oder kaum einer trauen, das in der Öffentlichkeit zu sagen. Aber Fakt ist doch, dass nur wenige aktiv etwas dafür tun, Frauen zu unterstützen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Das stimmt nicht!)

Mehr Mädchen machen Abitur als Jungs, mehr junge Frauen beginnen ein Studium, und die Abschlüsse von Frauen sind besser. Und plötzlich sind sie wieder weg. Je höher die Statusgruppe, desto geringer der Frauenanteil. Der Professorinnenanteil lag 2017 an rheinland-pfälzischen Hochschulen bei 20,7 %. Zugegeben, bei Juniorprofessuren und Habilitanten liegt der Frauenanteil höher. Ich bin es aber leid, dass ich mich immer noch über den viel zulangsamen Anstieg des Frauenanteils in vielen Berufen freuen soll. Ich will das, was uns zusteht: die Hälfte von allem!

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Martin Haller, SPD)

In Sonntagsreden werden die starken Frauen von früher von Männern von heute gerne gelobt. Das kann ich nicht mehr hören! Ich sage daher: Platz für mehr Frauen, jetzt!

Beispielsweise in den kommunalen Räten, in denen ein Frauenanteil von 18,7 % in Rheinland-Pfalz zu verzeichnen ist. Ehrlich gesagt, finde ich das zum Fremdschämen! Da sind sich alle Frauenaktivistinnen einig, von den Grünen bis zu den Landfrauen.

Der Deutsche Frauenrat fordert angesichts der ernüchternd ungleichen Verhältnisse in der deutschen Politik: mehr Frauen in die Parlamente. Der Deutsche schlechthin regelt gerne alles per Gesetz, aber ein Parité-Gesetz scheuen vor allem die Konservativen und die rechten Populisten – die sowieso zurück wollen, nach ganz zurück – wie der Teufel das Weihwasser.

Angebliche Verfassungsbedenken lasse ich nicht gelten, vor allem nicht von männerdominierten Gerichten. Im Grundgesetz steht, Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Es hat Jahrzehnte gedauert,

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Männergerichte können kein Recht sprechen!)

bis zumindest die Gesetze so angeglichen waren, dass Frauen und Männer in der Ehe und im Familienrecht gleichgestellt sind. Bis 1977 durfte die Frau nur dann berufstätig sein, wenn das mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Bis 1997 war die Vergewaltigung in der Ehestraffrei. Da sind wir heute ein paar Schritte weiter,

(Glocke der Präsidentin)

aber noch nicht am Ende. Ich auch noch nicht, bis gleich.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der FDP)


Abg. Jutta Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank für die engagierten Beiträge. Ich möchte den Männern oder denjenigen, die Befürchtungen haben, noch ein bisschen die Angst vor der Quote oder einer gesetzlichen Regelung nehmen. Ich fühle mich im Übrigen überhaupt nicht als Quotenfrau,

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Das bist Du auch nicht!)

und glauben Sie mir, ich nehme es auch mit Männern auf. Da hätte ich jetzt überhaupt gar keine Angst.

Aber es ist schon etwas anderes – da rede ich aus eigener Erfahrung –, wenn bei den Menschen, mit denen Sie politisch zusammenarbeiten, von vornherein klar ist: Den Kampf zwischen Mann und Frau muss ich nicht mehrführen. – Dann haben Sie mehr Energie für anderes. Ich wäre sehr froh, wenn sich die Ansicht durchsetzenwürde, dass man das auch ohne gesetzliche Änderungen hinbekommt. Aber ehrlich gesagt, haben wir schon 1919 erlebt, dass es nicht die Männer waren, die gesagt haben: Das ist eine gute Idee, wir geben euch das Frauenwahlrecht, sondern die Frauen mussten kämpfen.

Ich würde mir auch heute eine Gesellschaft wünschen, in der wir diesen Kampf nicht mehr im Einzelnen führen müssten, sondern in der es eine große Einigkeit gäbe, dass 50 % der Welt den Frauen gehörte und wir das Recht hätten, 50 % zubestimmen.

Danke schön.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,bei SPD und FDP)


Hier Plenarprotokoll (PDF) herunterladen

 

 



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